Alte Menschen in Entwicklungsländern leben in oft unwürdigsten Umständen, werden als Hexen verfolgt und versorgen weltweit um die 16 Millionen Aidswaisen. Und werden vergessen.
„Ich habe fast keine Zuversicht mehr, wie es weitergehen soll. Im Dorf bezeichnen mich einige als Hexe.“
Frau Tulafiwona Mgoye sitzt in ihrer Lehmhütte im Dorf Ihahi. Die über 90-jährige Dame erzählt Herrn Siwelwer, Projektkoordinator des Vereins „Die Bücke e.V.“ in Tansania ihre Geschichte. Sie lebt mit ihren Enkelkindern und ihrer Tochter in einer kleinen Hütte. Ihr Mann ist schon vor langer Zeit gestorben. Land besitzt die Familie zu wenig, um genug Mais anzubauen. Trotzdem klagt die betagte Frau nicht. Ihre Tochter lebt noch und hilft bei der Versorgung der zahlreichen Enkelkinder. Die Krankheit Aids wütet in ganz Afrika, rafft Familien dahin und erzeugt unzählige Waisen, die von aufopferungsvollen Großmüttern unter schwierigsten Umständen aufgezogen werden.
„Für diese Kinder Spenden zu sammeln ist verhältnismäßig einfach. Aber immer wieder begegnet man vor Ort alten Menschen in lebensunwürdigen Umständen, für die vor Ort niemand richtig sorgen kann.“
Michael Herold, Vorsitzender des Vereins „Die Brücke e.V.“ aus Günzburg kennt die problematische Situation. Der Verein organisierte in den letzten Jahren unter anderem den Aufbau eines Kindergartens, in dem zur Zeit 250 Kinder unterrichtet werden. In der Öffentlichkeitsarbeit von Hilfsorganisationen, dem sogenannten „Fundraising“, erzielen Bilder und Berichte von notleidenden Kindern ein höheres Spendenaufkommen. Zudem lassen sich nachhaltige Projekte für Menschen am Ende ihres Lebens nur schwer verwirklichen.
Frau Ilse Großklaß, Leiterin der Frauen- und Müttergemeinschaft aus Deffingen, spendete dem Verein „Die Brücke e.V.“ eine beträchtliche Geldsumme, um zur Linderung der aktuellen Notlage der alten Menschen in Ihahi beizutragen. Den Deffinger Frauen war die Not der alten Menschen nicht gleichgültig. So beschlossen sie, sich näher mit dem Schicksal der alten Menschen in Entwicklungsländern zu beschäftigen und aktiv zu werden.
Frau Mgoye kämpft mit vielen Problemen. Altersdemenz, Malaria, der alltägliche Hunger weil es nicht genug zu essen gibt. Viele alte Frauen leiden außerdem unter Atemwegserkrankungen, weil sie täglich in einer rauchigen Küche über dem offenen Feuer die Nahrung für ihre Familie kochen müssen. Dabei würde Frau Mgoye gerne noch auf dem Feld arbeiten, aber die Kräfte reichen dafür schon lange nicht mehr. „Der Anteil älterer Menschen über 60 Jahre an der Weltbevölkerung wird sich bis 2050 verdoppeln. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit wird es auf der Welt mehr alte Menschen als Kinder geben.“, stellte das Symposium „Die unsichtbare Generation“ bereits im Jahr 2006 fest. 16 Millionen Kinder sind wegen der Krankheit Aids bereits zu Waisen geworden. Die Hälfte dieser Kinder lebt in Afrika südlich der Sahara bei ihren Großeltern. Die Senioren müssen ihre erkrankten Kinder pflegen und opfern sich für die oft verwaisten Enkelkinder auf, obwohl sie selbst zu den Ärmsten der Armen gehören. Ihnen steht zum Leben oftmals weniger als einen Dollar pro Tag zur Verfügung.
Die Vereinten Nationen beschlossen im Jahr 2006, dass Senioren in Entwicklungsländern in ihrer Rolle als Pflegeeltern besonders gefördert werden müssen, kompletter Bericht zum Download in Englisch. Die Regierungen legten dafür mit Unterstützung der UN zahlreiche Programme auf. Frau Mgoye hat damit aber noch keine guten Erfahrungen gemacht.
„Die Regierung hat uns Alten versprochen, dass wir kostenlos medizinisch behandelt werden. Wenn ich aber zum Arzt gehe, muss ich für die Behandlung bezahlen, weil die Regierung die Behandlung doch nicht bezahlt. Auch Medikamente sollte ich eigentlich von der Regierung bezahlt bekommen. Aber das habe ich noch nie erlebt. Für mich ist ein Arztbesuch zu teuer.“
Alte Menschen haben in der afrikanischen Gesellschaft eine zwiespältige Rolle. Einerseits werden sie hoch verehrt, sie gelten als Hüter der Tradition und haben enormen Einfluss in einem Dorf. Auf der anderen Seite aber werden oft alte Frauen von Zauberdoktoren als Hexen bezeichnet, deren Flüche oder böse Blicke für das Leid derer verantwortlich gemacht werden, denen ein Zauberdoktor nicht helfen konnte. Amnesty International mahnt immer wieder den Schutz vor Lynchjustiz, die oft sogar mit Folter einhergeht, an. Die Praxis, alte Menschen der Hexerei zu bezichtigen, beschränkt sich dabei nicht nur auf Afrika.
Im UN-Bericht zum Thema „weltweiter demographischer Wandel“ wird ausdrücklich betont, dass alten Menschen in Entwicklungsländern eine wichtige Rolle bei der Aufklärung zum Schutz vor Aidsinfektionen zukommt. Die Bundesregierung bemüht sich deshalb um Programme für den Aufbau einer Altersversorgung für Menschen in Entwicklungsländern. Der Aufbau von Rentensystemen in diesen Regionen ist ein wichtiger Schritt zur Bekämpfung der Altersarmut. In Kooperation mit Hilfsorganisationen wird eine Verbesserung des Zugangs zu sozialen Grunddiensten für alte Menschen gefördert. In einigen Entwicklungsländern wurden bereits erfolgreich Mikroversicherungen eingeführt, von denen Menschen im Alter profitieren können.
Frau Mgoye aus Tansania hat davon noch nie etwas gehört. Sie freut sich über eine Schüssel Reis, eine Matratze zum Schlafen wäre ihr größter Traum, denn momentan muss sie auf einem leeren Reissack auf dem Boden schlafen. Für die Erfüllung dieses Wunsches wird die Spende der Deffinger Frauen verwendet. Auch die dringensten Bedürfnisse der anderen Senioren im Dorf Ihahi werden mit der Spende in den nächsten Tagen finanziert.
- Caritas: Alte Menschen in der Entwicklungszusammenarbeit
- BMZ: Das deutsche Engagement, Absicherung im Alter
- HelpAge: Jede Oma zählt!